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Oberst Andreas von Flotow
Rolf Becher erinnert sich an Oberst Andreas von Flotow
Sein Porträt als Mensch, Reiter und Lehrer.
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Mit besonderer Freude und Genugtuung komme ich dem Wunsch von Oliver Schmidt-Nechl nach, über das Wirken des ehemaligen Oberst Andreas von Flotow zu schreiben. Er war mir nicht nur ein Lehrer, sondern darüber hinaus stets ein väterlicher Freund. Sein reiterlicher Nachlaß in Form von zahlreichen mit Bleistift geschriebenen Essays befindet sich in meinen Händen, und beim Durchblättern der teils gehefteten, teils losen Blätter tritt er für mich wieder ins Leben zurück, führt mich erneut auf die Spur seiner reiterlichen Gedanken und versucht mich in seiner großen Bescheidenheit davon zurückzuhalten, über und von seiner Person zu schreiben.
Wie in den alten Zeiten vor nunmehr über 60 Jahren muß ich im geistigen Zwiegespräch mit ihm versuchen, ihn davon zu überzeugen, daß sein Werk von seiner Person nicht zu trennen ist. So sitze ich ihm heute wieder in seiner Dienstwohnung in Hannover gegenüber - oder ist es in Schloßhof bei Wien? Er ist dabei, mir seinen Tee zu servieren, den er immer in altenglischer Gewissenhaftigkeit zelebrierte. Er empfiehlt mir Honig, statt Zucker, hineinzutun, weil dann der Tee ein besserer Tee bliebe - und alsbald sind wir am Kern des Themas, das ihm besonders am Herzen lag:
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»Wissen Sie, Becher, es ist schwer, die Leute zum Denken und Fühlen zu kriegen; Sie kommen oft nicht über die Äußerlichkeiten einer Reitinstruktion hinaus und dann sitzen sie plötzlich in der Knebelei.« Er macht eine Pause, und ich merke, wie seine Gedanken schweifen und er den Zipfel sucht, an dem sie am treffensten zu packen sind. Einem Fremden, der ihn nicht kennt, scheint das, was er sagt, sprunghaft, und doch ist es so logisch.
»Dann heißt es einfach: aber er (das Pferd) muß doch schließlich!- Natürlich muß er mal, aber der Weg ist falsch! Erst muß er wollen, was er soll, dann tut er auch, was er muß und soll! Sehr schwer muß das zu begreifen sein.« Er steht auf, geht im Zimmer auf und ab. Er sieht abwesend aus, aber ich weiß, daß er am Weiterknüpfen der Gedanken ist. »Ja, die meisten Pferde werden frühzeitig zu hart angefaßt. Dann werden sie entweder widersetzlich oder nervös oder beides. Sehen Sie, man muß ihnen erstmal Vertrauen beibringen und ihnen starke Nerven machen, wenn sie mal zuverlässig im Gelände überall hingehen und springen sollen. Später, wenn sie das haben, kommt man schon weiter, dann wird auch ein energisches Zupacken nicht mehr übel genommen. In der Kinderstube, in der Grundschule werden die Sünden begangen, die dann die Laufbahn der Pferde blockieren. Natürlich muss man darüber nachdenken und das Gefühl dafür haben. Es steht ja alles drin in der Reitvorschrift, wenn man nachdenkt; aber es nützt garnichts, die dort abgedruckten Lektionen gefühllos durchzuleiern - weil das eben sein muss.« |
Nun kommt er wieder an den Tisch zurück, setzt sich mir gegenüber und sagt: »Das psychologische Studium im Hinblick auf das Pferd gehört zum Interessantesten für einen Ausbilder - kennen Sie übrigens von Maday - Psychologie des Pferdes? Müssen Sie kennen, ich gebe es Ihnen dann mit. - Morgen zeige ich Ihnen ein Rudel Pferde, die ich von den verschiedenen Regimentern zur Vorbereitung für den olympischen Fünfkampf(1936) bekommen habe. Die haben mir sicher nicht das Beste, natürlich auch nicht das Schlechteste geschickt. Aber der Gesichtspunkt, nachdem ausgewählt wurde, läßt sehr zu wünschen übrig. - Offenbar hat man die Vorstellung, daß im Geländeritt des Fünfkampfes das schnellste Pferd das beste sei. Das Problem liegt aber ganz wo anders.
Diese Fünfkämpfer sind meist gute Leichtathleten, Schwimmer, Schützen und Fechter, und die Zahl derjenigen, deren Stärke im Reiten liegt, ist außerordentlich gering. So kommt es, daß die Meisten von ihnen Angst vor dem Geländeritt haben. - Was tun? Nun - es ist klar, man muß ihnen Pferde geben, die einem Durschnittdsreiter keine Schwierigkeiten bereiten; das heißt, Pferde, welche die Aufgabe, die ja reitsportlich gesehen keine große Schwierigkeit darstellt, möglichst allein lösen, wenn sie nur vernünftig geführt und beim Springen nicht gestört werden. - Das ist das Problem!- Mit den schnellen Pferden, die ihnen doch nur abschrimmen, können sie nichts anfangen; sie verlieren nach den ersten 3oo Metern die Nerven und verderben sich gleich am ersten Tag ihren Fünfkampf. Davor haben sie Angst. - Sehen Sie, darum strebe ich an, die Pferde, die sie zur Olympiade bekommen sollen, zuerst einmal ruhig und vernünftig zu machen, wobei mir die Schnelligkeit völlig gleichgültig ist. - Im Kampffieber drehen die Reiter erfahrungsgemäß immer auf und kommen mit guten Zeiten an. Solange ein Pferd heftig ist, schrammt es nur ab, und alles hat keinen Sinn. Diese Pferde mit so unterschiedlichem Temperament und Charakter auf ein annähernd gleichmäßiges Niveau für die dann einsetzende Geländeschulung zu bringen, ist also das erste Ausbildungsziel. Meine Vertrauens- und Beruhigungsarbeit, die Sie ja schon kennen, hat sich auch bei den Pferden, die Sie morgen sehen werden, bestens bewährt.«
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Ja, ich kannte diese Beruhigungsarbeit gut. Als ich das zum ersten Mal sah, kam ich aus dem Staunen nicht heraus. Er stellte sich dabei mitten in die Reitbahn. Ich mußte mich in die Mitte des einen Zirkels, ein Bereiter in die Mitte des anderen Zirkels stellen, mit der Aufgabe, wenn es dann los ginge nur dafür zu sorgen, mit ausgestrecktem Arm das Rudel im ruhigen Rundlauf zu halten. Dann kamen die neuen, ihm noch unbekannten Pferde ungesattelt und ungezäumt in die Bahn und fügten sich unter seiner ruhigen Stimme alsbald in einen gemütlichen Rundlauf ein. Das ging im Schritt und, wenn er es für an der Zeit hielt, im Trab und Galopp. Dabei studierte er die Eigenheit eines jeden Pferdes und brachte mir bei, Pferdecharaktere zu studieren.
Ich habe bei ihm nie eine Keilerei oder einen Unfall erlebt. Nach einigen Tagen gingen ihm die Pferde in der Masse aufs Wort, changierten im Rudel ab, wenn wir mit ausgestreckten Armen zum Hufschlag gingen und sie umleiteten, kamen zum Schritt oder Trab oder Galopp, wie er es wollte. Diese Arbeit wurde dann unter Reitern in gleicher Weise einige Tage fortgesetzt, wobei im Anfang kein Reiter aktiv eingreifen durfte. Es war also de facto der gleiche Rundlauf, lediglich mit Reitergewicht. Es war erstaunlich, wie gleichmäßig und vertraulich die Pferde waren, als es dann schließlich ans Reiten im Gelände ging. Der psychologische Aufbau war lückenlos.
Am kommenden Tag sollte ich also sein »Rudel«, das diese Beruhigungsarbeit schon hinter sich hatte, in der Geländearbeit sehen. Als ich dann an diesem Tage, wie schon so oft, auf einem dieser Pferde saß, empfand ich wieder die kraftvolle und dabei beruhigende Atmosphäre, die über der ganzen Trainingszeit lag. Während wir nebeneinander zum Gelände ritten, erzählte er mir von der veterinärärztlichen Betreuung der Fünfkampf-Pferde durch den Oberveterinär Dr. Siegmund und das harmonische Zusammenspiel von Trainer und Arzt, wie es heute nur selten zu finden ist.
»Sie werden erstaunt sein«, so sagte er, »wenn Sie hören, daß das Durchschnittsalter der kommandierten Pferde für diesen olympischen Fünfkampf (1936) 12,4 Jahre beträgt. Daher hat ein hoher Prozentsatz der Pferde, nähmlich 88% Sehnenknoten an den Vorderbeinen, Gallen und verdickte Fesselköpfe. Nach ein bis zwei Monaten Training zeigte es sich, daß einige Pferde nicht in die Kondition gebracht werden konnten. Wir haben sie den Regimentern zum Austausch für geeignetere zurückgesandt. Wir mußten von 89 Pferden 23 aussondern. Dann kam noch hinzu, daß wir damit rechnen mußten, daß die Pferde vielleicht auch 90 kg wiegende Athletenkörper über die 5 km mit 22 Sprüngen im 450-m/min.-Tempo tragen müssen.
Es wird Sie auch interessieren - und die Wenigsten wissen das - daß das Training des Halbblüters im Vergleich zu dem des Vollblüters aus folgenden Gründen schwieriger ist: Der Vollblüter wird bei zuviel Arbeit durch Überanstengung müde, der Halbblüter aber, bedingt durch seine schwächeren konstitutionellen Eigenschaften, wird moralisch zerrüttet. Er ist zunächst ebenso willig und fleißig, übersteigt man aber die Höhe der Anforderungsgrenze - die individuell ganz verschieden ist, und die zu erreichen, aber nicht zu übersteigen das Geheimnis des erfolgreichen Trainers ist - so sind seine inneren Kräfte in noch verstärktem Maße überanstrengt. Das Training muß dann über längere Zeit ausgesetzt werden.
Unser Grundsatz ist es, niemals die höchste Leistung zu verlangen, sondern mit längerer, aber ruhiger Kanterarbeit die Frische und Freudigkeit zu erhalten. Ich verbiete daher alles, was zur inneren Unruhe des Pferdes führen könnte. Die Pferde sollen ja schließlich gehorsam und willig mitarbeiten und ihren mehr oder weniger guten Reitern sogar helfen.« Das war nicht übertrieben ausgedrückt! Die Pferde, die aus von Flotows Hand kamen, »spielten wirklich mit«.
Im Gelände ritten wir dann mit relativ langem Zügel und kurzen Bügeln, das Gewicht immer sorgsam im Schwerpunkt der Bewegung des Pferdes angepaßt. Es wurde leicht getrabt und leicht galoppiert - wie er es nannte - was unserem heutigem Begriff des »leichten Sitzes« entspricht. Gleichmaß der Bewegungen im unebenen Gelände und darin eingestreute Sprünge waren der Kernpunkt der Arbeit. Wo irgend eins der Pferde über die Sprünge zögerte oder gar verweigerte, wurde es sofort hinter einem gut springenden Führpferd korrigiert und keinesfalls der Versuch gemacht, es allein hinüber zu prügeln. Alles das war tierpsychologisch klar durchdacht.
Ich erinnere mich, wie er einmal sagte: »Es ist doch unbestreitbar, wenn ein Pferd nicht will, daß wir es mit unserer geringeren Kraft nicht zwingen können. Wenn es zum Beispiel den Springplatz lieber verlassen will als einen Sprung zu machen, dann verläßt es auch den Platz, selbst wenn der stärkste Mann der Welt drauf sitzt.«
In diesem Satz war seine ganze Reitauffassung enthalten, die immer darauf zielte, das Pferd zum Partner zu machen. Er verstand es meisterhaft, die Grundausbildung des Pferdes so zu gestalten, daß er Widerstände ausschloß, und das Pferd zu den Anforderungen, die er stellte, »JA« sagte. Das war sein großes Geheimnis. Ich kann mich nicht erinnern, jemals unter seiner Regieführung Kämpfe gesehen zu haben.
In lebhafter Erinnerung ist mir auch ein Tag in Schloßhof bei Wien. Er führte mich in den Park zu einer Sandgrube, die einen Neigungswinkel von etwa 45 Grad hatte und in dieser Schräge etwa 10 - 12 m verlief. »So, nun setzen wir uns hier auf die Bank,« sagte er, »die habe ich extra hier aufstellen lassen, damit hohe Vorgesetzte, die uns besichtigen, einen schönen Logenplatz haben, und sehen uns mal an, was jetzt kommt.«
Oben am Einstieg der Sandgrube stand ein Rick von etwa 70cm Höhe. Und dann ging es los. Der erste Reiter erschien im ruhigen Kanter [kurzer, leichter Galopp, die Red.], übersprang das niedrige Hindernis, segelte etwa 6 Meter frei durch die Luft, rutschte auf den Hinterbacken vielleicht noch 4 Meter und kanterte dann seelenruhig davon. »Ist das nicht schön, wie die das machen«, sagte er »Einer von den Reitern sagte, er mache am liebsten die Augen zu, aber wenn er unten ist, fühlt er sich als Held.«
Während wir einen nach dem andern da herunter kommen sahen, erklärte er mir: »Zuerst haben wir diesen Abhang nur zum Hinunterreiten benutzt - im Schritt natürlich - später sind wir dann in ruhigem Tempo hineingaloppiert, dann haben wir ein Cavaletto oben aufgestellt, und jetzt "hüpfen" wir über dieses Hindernis hinunter, wobei dann der kleine Segelflug zustande kommt. Das hat sich alles aus sich selbst entwickelt, und Sie sehen ja, wie die Pferde und die Reiter sogar Spaß daran haben.«
Das war ganz typisch für Flotow. Die Freude am Aufbau; Steinchen auf Steinchen; keine Lücke! Er ließ alles aus sich heraus mit geplanter Vorraussicht wachsen. Wo er war, harmonierte er die Atmosphäre mit seiner nachdenklichen Klugheit und seiner Güte, die in einem ritterlichen Herzen wohnte. Er hatte wahrhaftig sein Leben den Pferden gewidmet und allen denen, die bei ihm ritten, ein Beispiel für reiterliche Lebensart gegeben!
Das Ergebnis des Geländerittes des modernen Fünfkampfes in den Olympischen Spielen 1936 in Berlin war einmalig in Hinsicht auf die Leistungen der von ihm geschulten Pferde. Gustav Rau schrieb damals: »Das Heer hatte für diese Aufgabe wirklich den besten Mann herausgegriffen. Von 43 Reitern erreichten 40 das Ziel. Von 40 Pferden endeten 26 ohne jeden Strafpunkt. Auf diesen Pferden ritten Reiter aus 15 verschiedenen Ländern, deren Reitweise natürlich so unterschiedlich war, daß das Ergebnis wesentlich der guten und soliden Schulung der Pferde zuzuschreiben ist.«
Dieser Erfolg bestätigte die Richtigkeit seiner grundlegenden Arbeitsweise, mit der er besonders junge und verrittene Pferde, mit denen er wie mit einer Remonte ganz von vorn anfing, zum willigen Mitarbeiten brachte. »Dem Pferd eine gesunde Grundlage geben, auf der dann je nach Vermögen und Anlage alles zu machen war.« Das war der Kernpunkt seines Schaffens. Als Reiter und Mensch ein Grandseigneur, der jede Großspurigkeit verabscheute, der in flammenden Zorn ausbrechen konnte, wenn er auf menschliche Heimtücke und Niedertracht stieß. Er war ein Mensch, dessen Gradlinigkeit, Gerechtigkeit und Güte jeden seiner Schüler und Mitarbeiter im Bann hielt.
Andreas von F l o t o w,
ein Mensch, den man nicht vergißt
Rolf Becher, CHIRON
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